DFG-Graduiertenkollegs 2661: "anschließen-ausschließen" - Kulturelle Praktiken jenseits globaler Vernetzung
Aktuelle Website: www.anschliessenausschliessen.de
Das Graduiertenkolleg ist ein gemeinsames Projekt der Universität zu Köln (UzK), der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) und der Technische Hochschule Köln (TH)
Es versteht sich als ein transdisziplinärer und global ausgerichteter wissenschaftlicher Verbund, der zugleich außeruniversitäre Foren und Formen epistemischer Praxis in den Blick nehmen will. Er verbindet die Erforschung seiner Objekte und seine wissenschaftlichen Fragestellungen mit grundlegenden wissenschaftstheoretischen Überlegungen. Diese sollen ihrerseits im historischen und globalen Vergleich und im Dialog mit unterschiedlichen Wissensordnungen und -anordnungen auf den Prüfstand gestellt und in unterschiedlichen Milieus materieller und immaterieller Kulturen auf ihre ontologischen und epistemologischen Bezüge hin befragt werden. Das Innovationspotential und Alleinstellungsmerkmal des Kollegs begründet sich zudem darin, dass es sein wissenschaftliches Programmziel einer Erforschung von Praktiken des anschließens – ausschließens unmittelbar mit seinem Betreuungskonzept verknüpft. Es geht darum, den in diesem Kolleg forschenden wissenschaftlichen Nachwuchs aller Qualifikationsstufen von Masterstudent*innen bis zu Postdoktorand*innen in den beteiligten Disziplinen in einem offenen Dialog untereinander und mit Akteur*innen anderer Kulturen und Wissensordnungen zusammenzubringen. Wissenschaft kann so zugleich aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln von innen wie außen beobachtet und erfahren werden. Nicht zuletzt wird dadurch Wissenschaft selbst als soziale Praxis befragbar. Ihre Situierung an spezifischen sozialen und geographischen Orten in der Zeit verdeutlicht, dass sie nicht nur als zweckorientiertes methodisches Handeln begriffen werden kann, das allein der Generierung von Daten und Fakten und der Produktion von Erkenntnis und Wahrheit dient. Vielmehr versteht sie sich als ein kulturelles soziales Handeln mit universell oder auch historisch und sozial ausdifferenzierten Eigenschaften in unterschiedlichen, sich unaufhörlich verändernden Milieus. Diese lassen sich als Bedeutungen generierende Bestandteile der Forschung selbst begreifen, genauso wie Wissenschaft ihrerseits auch ein Bestandteil spezifischer alternierender Milieus ist.
Aus diesem Grund wird der sozialen und kulturellen Situierung wissenschaftlicher Praxis bei der transdisziplinären und kulturvergleichenden Reflexion der Forschungsgegenstände wie des eigenen wissenschaftliche Arbeitens im Kolleg Rechnung getragen. Insbesondere sollen dafür künstlerische und gestalterische Reflexionsräume hinzugezogen, aber auch selbst geschaffen und von den Kollegiat*innen in kuratorischen Praktiken erprobt werden, insofern in künstlerischen Räumen andere Praxis- und Wissensformen Anschluss finden als in der Wissenschaft – und gerade im künstlerischen und gestalterischen Bereich soziale Kontroversen der Gegenwart ausgetragen werden. Ein kuratorisches Projekt im Wahlpflichtbereich des Studienprogramms sowie Praktika bei Kulturinstitutionen und nicht zuletzt die dialogische Begegnung mit Angehörigen unterschiedlichster kultureller und disziplinärer Wissensordnungen werden das damit angestrebte Spannungsfeld zwischen Theorie, Empirie und Praxis jenseits der herkömmlichen Subjekt-Objekt-Dispositionen über die gesamte Laufzeit des Kollegs aufrecht erhalten.
Damit knüpft das GRK grundsätzlich durchaus an gängige Theorien, etwa solche zu Systemen oder Netzwerken, zu den Postcolonial Studies und dem „globalen Süden“ an. Anstelle von als gegeben angenommenen Entitäten und essentialisierten Ereignissen, als welche Systeme und Netzwerke nach wie vor wahrgenommen werden, stehen hier allerdings vor allem die Praktiken ihres begrifflichen Erscheinens und ihres institutionellen Sich-Ereignens im Blick. Die durch sie angeleitete wissenschaftliche Praxis des Kollegs bestimmt zugleich dessen Qualifizierungskonzept. Seine mit der industriellen und wissenschaftlichen Moderne etablierten kulturellen, institutionellen und disziplinären Grenzmarkierungen werden in der angestrebten Einheit von Analyse und Praxis hinsichtlich der Forschungsobjekte wie auch des eigenen wissenschaftlichen Handelns auf Möglichkeiten ihrer zeitgemäßen Neumontage hin befragt. Unter Verwendung etablierter und weiter zu entwickelnder Forschungsparadigmen und Methoden, wie sie die beteiligten Fächer vorgeben, kann sich das Kolleg somit parallaktisch und zugleich selbstreflexiv den konkreten Problemstellungen seiner wissenschaftlichen Objekte annähern.
Gleichzeitig fragt es nach den Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher und damit auch in kultureller Hinsicht hegemonial argumentierender und disziplinär exkludierender wissenschaftlicher Erkenntnis. Dies bezieht notwendigerweise auch die Frage nach ihrer Vergleichbarkeit in den historischen und geokulturellen Zusammenhängen je verschiedener Umwelten und Milieus ein. Diese werden nicht nur analysiert, sondern, so etwa in den Master Classes und den in unterschiedlichen Milieus stattfindenden Summer Schools, zugleich dialogisch erörtert und in der eigenen gemeinsamen Praxis auf ihre Dialogfähigkeit sowie Möglichkeiten einer Neukartographierung hin befragt. Die dabei in der eigenen wissenschaftlichen Praxis des Kollegs sichtbar werdende gegenseitige Bedingtheit der Praktiken des (sich) Anschließens und des (sich) Ausschließens sind nicht zuletzt durch die jüngsten globalen Ereignisse des Jahres 2020 ganz maßgeblich auch in den Fokus der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeiten geraten. Die nunmehr zutage getretene Unzulänglichkeit bestehender Systemtheorien und Netzwerkmodelle bei der Beschreibung und Erklärung von sozialen Prozessen in global vergleichbaren, lokal aber doch so unterschiedlichen Milieus stellen die inhaltliche wie zugleich die methodische Folie der Arbeitsgruppe über deren Fächergrenzen hinweg dar. Der Untertitel Dynamiken jenseits globaler Vernetzung indes liefert ihr den Arbeitsauftrag.
Nachdem bereits die gängigen Netzwerktheorien überwiegend inter- und transdisziplinär vorgegangen sind, erfordert die Frage nach den verbliebenen Leerstellen umso mehr eine sowohl transdisziplinäre und multimethodische Vorgangsweise. Dass sie darüber hinaus ein erkenntniskritisches und ontologisch vergleichendes Arbeiten ermöglicht, bei dem die teilnehmenden Disziplinen sich außerdem hinsichtlich der von ihnen beobachteten Regionen und Kulturen miteinander in eine Beziehung setzen, stellt einen maßgeblichen Mehrwert dieses Verbundes und seiner Forscherpersönlichkeiten gegenüber dem derzeitigen Forschungsstand dar. Das besondere Vorgehen des Kollegs besteht in diesem Sinne darin, nicht auf die Ergebnisse, also auf Angeschlossene und Ausgeschlossene, wie sie in Systemen, aber auch in Netzwerken als gegeben vorausgesetzt werden, zu schauen. Vielmehr werden die Praktiken des anschließens – ausschließens selbst in den Blick genommen und im eigenen Handeln erprobt. Wissen soll dabei nicht mit Entitäten verwechselt, Wissenschaft nicht auf ihre Funktion reduziert werden, Entitäten zu erzeugen, seien es Dinge, Ereignisse, Begriffe und Konzepte oder auch Knoten und Akteur*innen. Es geht also nicht um das Einschließen in Netzwerke, welches zwangsläufig immer zu einem entitätischen Denken führt. Vielmehr steht die Praxis des Anschließens, welche immer über eine solche des Ausschließens funktioniert, ja diese voraussetzt und mit ihr eine untrennbare Einheit bildet, im Zentrum des wissenschaftlichen Programms genauso wie des Qualifizierungskonzeptes dieses Kollegs. Daher geht es notwendigerweise auch darum, die eigenen Praktiken einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Ergebnisse, die Daten der Forschung, sowie die Erkenntnisse, den Wissensgewinn und dessen Übertragung in wissenschaftliches, kulturelles, gesellschaftliches oder politisches Handeln, mit in die Reflexion einzubeziehen und beim eigenen Handeln zu berücksichtigen.
Ein in dieser Weise selbstreferentielles Arbeiten indes muss notwendigerweise das monadische Streben nach einer aus Daten und Fakten eindeutig konnotierbaren empirischen Wahrheit überwinden. An die Stelle exkludierender Praktiken tritt auf der Grundlage einer Anerkenntnis prozessual zu denkender „pluralistischer Universen“ (W. James) dann ein Handeln, das nicht exkludierend, sondern als eine Anreicherung von Möglichkeiten zu verstehen ist. Die auf diese Weise erforschten und erfahrenen Praktiken des Anschließens – Ausschließens wie auch diejenigen des Forschens selbst verschränken sich hierbei miteinander. Sie eröffnen darüber hinaus bisher zu wenig genutzte Möglichkeiten des sich im Handeln ereignenden Erkennens jenseits der je hegemonial vorgegebenen und sich allesamt als exklusiv verstehenden, also exkludierend handelnden Propositionen von Wissenschaft und/oder Politik bzw. der einen oder anderen Kultur. Die sich daraus ergebende zentrale Aufgabe des Kollegs besteht darin, das in seinem Arbeitsauftrag benannte Jenseits (der Diskurse) zu identifizieren, zu beschreiben und zu analysieren, um es schließlich mit dem Diesseits der gängigen Strategien wieder in eine Beziehung setzen zu können.
Mit diesem Unterfangen soll nicht zuletzt auch die Frage danach thematisiert und im Dialog zwischen den Disziplinen wie auch mit den weltweiten Partner*innen ausgehandelt werden, ob und inwieweit die Wissenschaften nicht doch in der Lage sind, jenseits der ihre Methoden seit der frühen Moderne maßgeblich prägenden begrifflichen Reduzierung von Komplexitäten mehr als nur einen Ausschnitt von Welt zu beleuchten und damit der Synthese neben der in den Wissenschaften favorisierten Analyse wieder einen größeren Raum zu verschaffen.